Porträt Matti

CN: Beschreibung über freien Oberkörper als empowernde Situation

Porträtfoto Matti


Name: Matti
Alter: 30
Pronomen: er oder einfach nur Matti

Falls du Label für dich verwendest, welche sind das?

Matti

Trans und queer.

Vor wie vielen Jahren war trans*/nicht-binär Sein zum ersten Mal für dich Thema?

Matti

Ich glaube um ehrlich zu sein, rückblickend betrachtet, schon als ich ganz klein war. Aber ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, das extrem unqueer oder extrem cis-hetero war, also so in Baden-Württemberg, auf dem Land und auf dem Dorf. Da gab es bis ich über 20 war, nicht mal homo Leute in meinem Umfeld. Deshalb hatte ich da einfach ewig lange keine Worte für. Aber wenn ich so zurückblicke, dann kann ich mich an sehr viele, auch sehr lustige Szenen aus dem Kindergarten oder so erinnern. Zum Beispiel „ich gründe eine Bande, da dürfen nur Jungs mitmachen“ und alle anderen Kinder sagen, „das ist aber Quatsch, weil dann darfst du ja auch nicht mitmachen“, aber für mich war es halt kein Quatsch. Durch mein Umfeld wurde das dann aber relativ schnell eingedämmt und ich habe mich dann quasi berappelt, das nicht so mit der Öffentlichkeit zu teilen.

Aber es wurde doch immer wieder Thema und hat dann noch ein paar Jahre gedauert, bis ich Anfang 20 überhaupt zum ersten Mal davon gehört habe, dass trans sein existiert. Das war sehr bewegend und auch gruselig. Ich habe es in so einem Zine einen Text gelesen von einer Person, die eben aus einer trans Perspektive geschrieben hat. Das hat mich krass berührt. Das hat sich so ein bisschen angefühlt wie verliebt sein oder so, weil ich plötzlich dachte „krass, ich wusste nicht, dass es noch irgendeinen anderen Mensch auf der Welt gibt, dem es so geht!“ Und gleichzeitig fand ich es extrem beunruhigend, oder beängstigend. Ich dachte, „warum berührt mich das so?“ und ich wollte irgendwie nicht, dass das was mit mir zu tun hat.

Danach hab ich, nachdem ich dann wusste, dass trans sein existiert, absichtlich einen sehr großen Bogen um alles gemacht, was damit zu tun hat, weil ich so gruselig fand, dass das was mit mir zu tun hat. Es hat also dann eine Weile gedauert, bis ich mich getraut hab, da genauer hinzuschauen. Das war erst so mit Mitte 20.

Erinnerst du dich an einen spezifischen Moment von innerem Coming Out, in dem du gemerkt hast, dass du vielleicht trans*/nicht-binär bist? Wie war das für dich?

Matti

Ja, das ist das, was ich gerade erzählt habe.

Wie fühlt es sich für dich an, trans*/nicht-binär zu sein?

Matti

Schön, passend, zu Hause, angekommen, alles davon. Einfach richtig. Wie ein Geschenk, ein bisschen.

Wer oder was war für dich in deinem Selbstfindungsprozess wichtig oder unterstützend?

Matti

Ich glaube, an Orte zu gehen, wo andere trans Personen sind, wo mich vielleicht auch niemand kennt und so ein bisschen auszuprobieren. Zum Beispiel einen anderen Namen zu verwenden und so reinzufühlen. Und vielleicht auch auf eine Art und Weise Vorbilder zu haben. Also auch, wenn das ganz unkonkret ist – einfach nur zu wissen, es gibt Menschen, die diesen Weg gehen und es ist möglich. Auch, weil ich einfach so lange nicht wusste, dass es möglich ist.

Gab es positive/negative Überraschungen, die du in Bezug auf dein trans*/nicht-binär Sein erlebt hast?

Matti

Also negative waren vielleicht keine Überraschungen, sondern ich habe mich ja schon drauf eingestellt, dass es schwierig wird. Aber positive gab es schon! Mir fällt eine Szene ein, als ich mich auf der Arbeit geoutet hab. Ich bin Schreiner und ich arbeite in so einem kleinen Handwerksbetrieb mit wenig Leuten. Mein Chef ist über 60 und hat einfach wenig Wissen in dieser Hinsicht oder ist einfach das klassische Beispiel von einem alten weißen Mann.
Es lief aber erstaunlich gut! Ich habe ihm davon erzählt und er war am Anfang sehr verwirrt und hat mir aber zugehört. Und als er das dann so ansatzweise verstanden hat, nach ein paar Minuten, ist er zu der Umkleidekabine gegangen, wo ich mich immer umgezogen habe und hat das Frauenzeichen einfach über der Umkleide abgerissen. Das war richtig cute! Das Gespräch war vor Ostern, am Gründonnerstag, und ich dachte mir, das ist gut, dann hat er vier Tage Zeit, um klar zu kommen und drüber nachzudenken. Und dann haben wir uns eben nach vier Tagen wieder gesehen und er hat mir erzählt, dass er sich so Beispielsätze ausgedacht hat mit meinem neuen Namen und er-Pronomen! Das fand ich einfach richtig empathisch und richtig lieb von ihm. Ich dachte mir, das hat er sich einfach selber ausgedacht, das weiß er von niemandem!
Das war eine richtig positive Überraschung und natürlich hat es noch eine Weile gedauert, bis er sich umgewöhnt hat und so, aber ich hatte ganz viel Angst und habe es ganz lange aufgeschoben, mich auf der Arbeit zu outen und dann war es eine richtig coole Erfahrung.

Was ist eine deiner schönsten Erinnerungen mit anderen trans*/nicht-binären Personen?

Matti

Ja, da fällt mir tatsächlich eine Szene ein. Das ist auf der trans Pride in Köln gewesen, und es war eine nicht-binäre Person auf der Bühne und hat eine Rede gehalten, oberkörperfrei. Und dann kam die Polizei und wollte die Person auf der Bühne anzeigen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Eben weil die Person weiblich gelesen wurde und das dann in dem Fall angeblich ein öffentliches Ärgernis wäre. Und das hat dazu geführt, dass viele Leute, die an der Kundgebung teilgenommen haben, darüber sehr empört waren und sich dann aus Solidarität auch ihre T-Shirts ausgezogen haben. Leute, die nach dieser Denkweise sozusagen auch ein öffentliches Ärgernis damit wären. Und die haben sich dann vor die Bühne gestellt, zu dieser angeklagten Person – das fand ich echt einen krassen Moment. Sehr powerfull! Und ich würde mal unterstellen, sowohl ich als auch andere Leute würden sonst niemals freiwillig ihre T-Shirts irgendwo ausziehen. Das hat es besonders cool gemacht.

Was bedeutet Community für dich? Welche Rolle hat Community bei deinen inneren oder äußeren Coming Outs gespielt?

Matti

Community bedeutet für mich glaube ich vor allem sich gegenseitig zu unterstützen und supporten. Wege zu finden, füreinander da zu sein und sich zu verstehen so, wie Menschen, die nicht so ähnliche Erfahrungen machen, einen gar nicht verstehen können. Community war einfach sehr wichtig für mich, um alles Mögliche zu schaffen. Community sind für mich glaube ich einfach Personen, mit denen ich mich aufgrund unseres verbindenden Themas trans Sein zusammengefunden habe. Es ist wichtig für mich, um sich einfach nicht alleine zu fühlen und uns gegenseitig Sichtbarkeit zu geben.

Was würdest du jungen Menschen, die sich mit dem eigenen trans*/nicht-binär Sein beschäftigen, gerne sagen?

Matti

Auch wenn es mega gruselig ist, macht euch auf! Lasst euch nicht entmutigen, sondern sucht euch Gesellschaft, geht an Orte, wo andere trans Personen sind und lernt euch kennen. Es lohnt sich! Man kann sehr glücklich werden, wenn man sich traut, auf die Suche zu gehen. Es lohnt sich, auch wenn ich weiß, dass es richtig schwer ist und richtig hart und richtig viel Widerstand und Gegenwind gibt. Aber es lohnt sich, für sich selbst einzustehen und sich in seinem Leben und in seinem Körper so einzurichten, wie man es braucht, um es schön zu haben.