Immer wieder ich – ein Coming-Out ohne Ende

Ursprünglich dachte ich mal, dass der ganze Prozess des Coming-Outs irgendwann vorbei ist. Dass man es einmal macht – und dann war’s das. Tja, falsch gedacht. Spätestens, wenn neue Menschen in mein Leben treten oder ich mich in unbekannten sozialen Situationen wiederfinde, stehe ich oft wieder an dem Punkt, an dem ich mich „outen“ muss. Muss ich wirklich? Nein. Es gibt kein Gesetz, das mich dazu zwingt. Und oft sage ich in solchen Momenten auch nichts, weil es mir die Anstrengung nicht wert ist. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass oft kein Weg daran vorbeiführt, wenn ich als die Person wahrgenommen werden möchte, die ich bin. Kurzum: Um ein Coming-Out komme ich einfach nicht herum.

Mein Coming-Out war kein lauter, dramatischer Moment. Es war eher ein leises, langsames Erwachen – ein schrittweises Erkennen, dass ich mich außerhalb der binären und gewohnten Geschlechternormen befinde. Selbst, wenn ich mich innerlich gefunden hatte, bedeutete das aber noch lange nicht, dass die Welt mich ebenfalls fand.
Denn die meisten Menschen denken in Schubladen: Frau oder Mann. Punkt. Alles dazwischen ist unbequem, verwirrend – oder wird schlicht ignoriert. Nicht-binäre Identitäten existieren für viele nur theoretisch, wenn überhaupt. Oft merke ich, wie Menschen sprachlich straucheln, wie Unsicherheit in ihren Blicken liegt, wenn ich von mir spreche – als würde allein meine Existenz ihr gewohntes Weltbild ins Wanken bringen. Sie stocken mitten im Satz, suchen unbeholfen nach Worten.

Und trotzdem: Es gibt sie – diese Menschen, die Hoffnung machen. Die, die ohne Zögern nach meinen Pronomen fragen, die ohne Weiteres meinen neuen Namen verwenden. Die mich nicht in alte Muster pressen wollen. Freundinnen, die mich wirklich sehen. Kolleginnen, die ganz selbstverständlich meine Pronomen benutzen. Meine Mutter, die sich informiert hat und ein starker Ally ist. Für einen Moment fühlt sich die Welt dann weniger eng an, weniger mühsam.

Diese Menschen geben mir Kraft. Ihre Offenheit und ihr Respekt lassen mich aufatmen. Aber sie können das grundlegende Gefühl nicht ganz aufheben: Ich lebe in einer Welt, in der für mich nicht mitgedacht wird. In vielen Formularen muss ich eine Anrede wählen. Öffentliche Toiletten sind strikt getrennt. Und immer wieder diese Fragen: „Wie soll ich dich jetzt ansprechen?“ oder Aussagen wie „Ja, aber da nimmst du dich jetzt schon sehr wichtig.“

Ein Coming-Out als nicht-binär ist kein einmaliger Akt. Es ist ein fortlaufender Prozess. Ich oute mich ständig aufs Neue – bei Ärztinnen, in Bewerbungsgesprächen, bei neuen Menschen, manchmal sogar bei alten Freundinnen. Und jedes Mal hoffe ich auf Verständnis. Aber ich rechne auch damit, erklären zu müssen. Oder mich rechtfertigen. Oder einfach übergangen zu werden – mit falschen Pronomen, mit vergeschlechtlichten Bezeichnungen, die mir nicht entsprechen.

Es ist ermüdend. Und manchmal auch frustrierend. Aber es ist auch wichtig und notwendig. Denn jedes Coming-Out ist ein kleiner Schritt in Richtung Sichtbarkeit – für mich und für andere. Für Menschen, die noch nicht bereit sind, laut zu sein. Für die, die sich selbst gerade erst finden. Und solange die Welt uns nicht automatisch mitdenkt, erzähle ich meine Geschichte weiter. Weil wir es wert sind, endlich gesehen zu werden!

Kay