Porträt Liam

Portätfoto Liam


Name: Liam
Alter: 25
Pronomen: er/ihm

Falls du Label für dich verwendest, welche sind das?

Liam

Männlich, trans* und genderfluid.

Vor wie vielen Jahren war trans*/nicht-binär Sein zum ersten Mal für dich Thema?

Liam

Ich glaube, dass ich es mit diesen Worten in Verbindung bringen konnte und wusste, dass das für mich Thema ist, war vor 10 Jahren. Also, als ich 15 war, hat das angefangen.

Hast du da zum ersten Mal das Konzept kennengelernt oder hast du dich auch selbst darin erkannt?

Liam

Da dachte ich: „Ah, das bin ich!“ Also, bei mir war es so, dass ich mir ganz viel auf YouTube so Transition-Progress-Videos angeguckt habe, wo Leute Fotos gepostet haben, wie sich ihr Körper auf Testosteron verändert oder auch wie das nach OPs aussieht. Also, ich kannte das Konzept schon vorher, aber da war das noch ganz weit weg von mir. So von wegen „Ja, es gibt irgendwelche komischen Leute, die ihr Geschlecht wechseln.“ Aber, dass es so nahbar wurde, und dass das alles auch für mich eine Möglichkeit sein könnte, das war so vor 10 Jahren. So eine Idee von „Oh wow, es ist ja wirklich möglich, das zu machen!“

Erinnerst du dich an einen spezifischen Moment von innerem Coming Out, in dem du gemerkt hast, dass du vielleicht trans*/nicht-binär bist? Wie war das für dich?

Liam

Das war auf meiner Abschlussfahrt in der 10. Klasse. Wir hatten so Abschluss-T-Shirts gemacht, wo unsere Namen drauf waren und irgendein lustiger Spruch oder sowas. Und die wurden auf der Busfahrt ausgeteilt und dafür wurde einfach nur nach der Größe gefragt. Und ich hab „S“ gesagt und dann ein S-T-Shirt bekommen, aber es war ein „Herrenschnitt“ S-T-Shirt. Das hab ich angezogen und mit dem hab ich mich wohl gefühlt. Und dann sind wir ausgestiegen und ein Junge aus meiner Klasse hatte ein Damen-S-Shirt an, was sehr eng anlag und meine erste Idee war: „Oh, das steht ihm voll gut!“ Er sah einfach gut darin aus und die anderen haben dann zwischen uns hin und her geguckt und angefangen zu lachen, weil wir sozusagen die T-Shirts vertauscht hatten. Und dann mussten wir sie zwangsläufig tauschen. Und ich habe mich dann in dem Damenshirt einfach so extrem unwohl gefühlt. Ich glaube, das war auch das Erste, was ich wirklich so als Dysphorie verorten konnte. Besonders auch zusammen mit diesem „Boah, ich fand, dem stand das voll gut und ich fand, mir stand das andere auch voll gut!“ und, dass das dann so ausgelacht wurde. Das hat einfach dieses krasse „Wow, irgendwie denken wir komplett anders gerade und irgendwie… ist was anders“ ausgelöst.

Ich glaube, der zweite Moment war, als ich meinen ersten Binder anprobiert habe. Das war noch in der Zeit, wo ich nicht ganz genau wusste, ob ich wirklich trans* bin oder was da gerade los ist. Ich dachte, „Ach, ja, ich probiere mal aus, wie sich das so anfühlt, wenn man nicht so sieht, dass ich Brüste hab“ und das war einfach richtig amazing und sehr euphoric.

Wie fühlt es sich für dich an, trans*/nicht-binär zu sein?

Liam

Ich glaube, das hat sich in den letzten Jahren sehr stark geändert. Also, am Anfang war das Gefühl vor allem „Oh, okay, ich bin besonders, aber ich muss diese Besonderheit auch immer wieder beweisen und ich muss darum kämpfen, mir irgendwie ein bisschen Normalität zu erhalten. Aber Normalität, damit mir noch so ein bisschen Respekt entgegengebracht wird oder dass ich in das medizinische Setting reinpasse. Dass ich Gutachten bestehe, um an die Transitionsschritte zu kommen, die ich brauche.“ Und das war sehr viel Kampf und sehr viel Seiltanz zwischen „Okay, ich kann mich endlich so ausdrücken, wie ich bin, aber gleichzeitig auch nicht, weil ich jetzt in diese andere Box reinpassen muss. Nur um zu bekommen, was ich brauche, um irgendwie gut leben zu können.“

Jetzt ist [trans* Sein] vor allem was, wo ich total viel Kraft herausschöpfe. Es gibt schon Momente, wo ich mir wünsche, einfach als cis Junge geboren worden zu sein. Aber oft denke ich mir auch (und man kann es natürlich nie wissen), aber wenn ich mir meine Biografie so angucke, ich glaube ich wäre einfach ein richtiges Arschloch geworden. [lacht] In der Kindheit als Mädchen behandelt worden zu sein, hat mir, glaube ich, total viel Insight gebracht, die die meisten anderen Männer einfach nicht haben.

Und wenn ich mich jetzt mit anderen trans* Menschen connecten kann, habe ich das Gefühl, vielleicht ein bisschen mehr von der Welt zu verstehen, in der ich lebe, als viele cis Menschen, die ich kenne.

Was ist eine deiner schönsten Erinnerungen mit anderen trans*/nicht-binären Personen?

Liam

Ich bin in einem Verein in Dresden, dem Gerede e.V., da gibt es den trans*talk: Das ist eine Gruppe für trans* und nicht-binäre Person, wo sie sich miteinander treffen und austauschen können. Da bin ich früher sehr oft hingegangen und ich fand es total schön, wie wir einander einfach gefeiert haben. Und auch Fortschritte beieinander mitbekommen und mitbeobachtet haben und das miteinander geteilt haben. Ich war zum Beispiel dort, als ich endlich sagen konnte, dass ich jetzt seit 2 Tagen auf Testo bin. Und alle haben applaudiert und mich beglückwünscht und waren total happy! Ich fand es so schön, zu sehen, dass sich Leute wirklich ernsthaft für mich gefreut haben.

Also, es gab vorher auch cis Menschen, die mich dafür beglückwünscht haben, so „Achja, cool, dass das jetzt für dich weitergeht, good for you!“ Aber dass die Gruppe so verstehen konnte, was das bedeutet und wie viel Lebensqualität das hinzufügen kann, war besonders. Das kam auch von Menschen, die noch kein Indikationsschreiben zum Beispiel hatten und noch darauf warten mussten, weil sie zum Beispiel die Erlaubnis von den Eltern brauchten, weil sie minderjährig waren. Das war dann zwar immer so eine Gratwanderung zwischen „Ich freue mich voll für dich, aber ich bin super neidisch und es zieht mich gerade auch ein bisschen runter, dass ich noch nicht so weit bin“, aber es konnte trotzdem so doll geteilt werden und ich hab mich da super willkommen und aufgehoben gefühlt. Ich wurde dort sehr darin bestätigt, dass ich einfach meinen Weg gehen kann und dass das richtig ist.

Wer oder was war für dich in deinem Selbstfindungsprozess wichtig oder unterstützend?

Liam

Ich hatte viel Glück, dass ich relativ früh im Prozess auf Menschen getroffen bin, die nicht so krass in diesen binären Boxen gedacht haben. Also, die haben mir zwar gesagt „Okay, wenn du zu diesen Begutachtungen gehst, dann gibt es da eine bestimmte Erwartungshaltung, wie du zu sein hast, und es könnte negative Auswirkungen haben, wenn du das nicht so präsentierst.“ Aber es gab gleichzeitig so eine Anerkennung, dass das nicht echt ist und, dass es voll okay ist, wenn du als trans* Mann trotzdem zum Beispiel weiterhin Bock hast, dich zu schminken oder Nagellack zu tragen. So „Es ist alles offen, es ist alles erlaubt und es ist okay, wenn du dich ausprobierst und es ist auch okay, wenn du dein Label 50 mal änderst.“

Das war super unterstützend, weil ich ansonsten gerade in medizinischen Settings sehr viel gehört habe „Du musst dir jetzt und für immer zu 1000% sicher sein, dass das genauso ist!“ Mir haben diese anderen Einflüsse total geholfen, die mir gesagt haben „Es ist voll okay, Zweifel zu haben und sich auch mal umzuentscheiden“. Dadurch konnte ich mehr Raum einnehmen und mehr erkunden.

Wie gehst du mit Transfeindlichkeit im Alltag um?

Liam

Ich glaube, wenn Leute zum Beispiel auf der Straße abfällige Kommentare oder so machen, achte ich eher darauf, mich möglichst in Sicherheit zu bringen und nicht weiter zu provozieren, wenn es irgendwie möglich ist. Also, die Leute zu ignorieren oder wegzugehen, wenn die Situation das gerade erlaubt und dann später mit anderen Leuten darüber zu sprechen. Vor allem mich gemeinsam mit anderen trans* Leuten darüber aufzuregen, was denn mit diesen Leuten falsch ist, ist voll wichtig für mich.

Ich mache auch queere Bildungsarbeit und das Gefühl zu haben, aktiv was gegen Transfeindlichkeit tun zu können, tut mir auch sehr gut. Dann sitze ich nicht so in dieser Handlungsunfähigkeit fest.

Manchmal braucht es auch einfach sich aufregen und alles kacke finden und weinen und schreien und keine Lust mehr darauf haben, in einer Welt zu leben, die aktuell auch wieder transfeindlicher wird. Und manchmal braucht es den Rückzug in eine Bubble voller trans Joy und queer Joy. Zum Beispiel in solchen Spaces wie hier, wo ich weiß: Ich kann im Grunde in dieses Gebäude hier reinkommen und weiß, dass ich von Sicherheit und Verständnis umgeben bin, auch wenn alle Menschen hier drin natürlich total unterschiedlich sind und wir wahrscheinlich auch nicht bei allem der gleichen Meinung sind. Also, diese grundlegende Sicherheit, dass mich hier niemand dafür angreifen oder abwerten wird, wie ich bin und, dass wir ganz grundlegend die gleichen Ziele haben, finde ich sehr stark. Ich glaube, in meiner Bubble bleiben ist oft das, was mir Stärke gibt. Und wenn ich aus der Bubble heraustrete, dann aktivistisch.

Was bedeutet Community für dich? Welche Rolle hat Community bei deinen inneren oder äußeren Coming Outs gespielt?

Liam

Also Community bedeutet für mich einfach erstmal „alles ist OK und ich werde so akzeptiert, wie ich bin, ohne, dass ich mich dafür rechtfertigen muss oder ohne irgendwelche unangenehmen Fragen.“ Es bedeutet für mich auch irgendwie Austausch, also besonders Erfahrungsaustausch.

Was bedeutet Community für dich? Welche Rolle hat Community bei deinen inneren oder äußeren Coming Outs gespielt?

Liam

Eine ziemlich große. Ich glaube wirklich, ohne meine trans*talk Gruppe hätte ich sehr viel länger gebraucht, um dahin zu kommen, wo ich bin – wenn ich es überhaupt geschafft hätte. Ich finde es krass, wenn trans* Menschen es ohne Anschluss an die Community schaffen, sich da selbst durchzuboxen und ihre Hormone und ihre Namensänderung zu bekommen. Also, wenn sie keinen Anschluss und Zugang haben und das trotzdem machen, finde ich das total bewundernswert. Ich glaube, das hätte ich einfach nicht gekonnt, ich hätte nicht die Stärke dafür gehabt. Ich würde sagen, dass Community für mich sehr essentiell ist, um überhaupt mein Leben führen zu können und Rückhalt zu haben. Ich habe auch sehr das Bedürfnis, was zurückzugeben und auch jüngere Leute oder Menschen, die jünger in ihrer Transition sind, zu unterstützen und Ressourcen weiterzugeben. Zum Beispiel nach der Mastek den Binder, wenn er noch tragbar ist, weiterzugeben und so.

Wenn du der trans* Community ein magisches Geschenk machen könntest, was wäre das?

Liam

Ordentliche Gesundheitsversorgung, zu der alle Zugang haben, ohne sich beweisen zu müssen.

Was würdest du jungen Menschen, die sich mit dem eigenen trans*/nicht-binär Sein beschäftigen, gerne sagen?

Liam

Erst einmal, dass sie komplett okay sind, so wie sie sind. Dass Dinge, auch wenn sie sich verändern, immer noch okay sind und auch, dass Zweifel irgendwie dazugehören und da sein dürfen. Und, dass sie sich nicht sicher sein müssen und dass sie sich ausprobieren dürfen. Dass sie ihren Weg finden werden, auch, wenn es total schwierig ist und es sich manchmal so anfühlt, als würde es gar keinen Ausweg mehr geben und als sei das Leben nicht lebbar. In solchen Momenten einfach irgendwie durchzuhalten und weiter zu atmen, ist so wichtig. Und irgendwann findet man andere Menschen, die einem die Hand reichen und weiterhelfen können. Ich glaube ganz fest daran, dass alle irgendwie ihren Weg finden. Bei einigen ist der ein bisschen krummer als bei anderen, aber das ist okay.