Queere Menschen gibt es schon immer. Die Sprache, queere Erfahrung in ihrer bunten Vielfalt zu beschreiben, ist jedoch neu. In den letzten Jahren sind viele Worte und Label dazugekommen, die immer variirende und persönlichere Erfahrungen beschreiben wollen. Heißt das nun, dass jede Person so viele Label wie möglich benutzen sollte? Oder ist weniger mehr?
„Label sind hilfreich“
Für die von uns, die nach etwas suchen, was sie beschreibt, sind Label genau das richtige. Vor allem als Ersatz für von außen aufgedrängte Label; „anders“ oder „unverständlich“. Da ist es wichtig eine andere Beschreibung zu haben, die selbst gewählt ist. Seit den 2000ern gibt es dafür das bekannte Akronym LSBT: LesbischSchwulBisexuellTrans. Sich darin zu verorten und wiederzufinden kann der Einsamkeit der Erfahrung „anders“ zu sein, gegenwirken. Es kann als Möglichkeit dienen, sich zu erklären und ein Zugehörigkeitsgefühl und eine Community schaffen.
Manchmal reicht es jedoch nicht aus, alle Facetten der eigenen Lebenserfahrung in nur einem Wort, einem Label zu beschreiben. Mehr in die Tiefe, als die Überbegriffe lesbisch, schwul, bi und trans„Trans*“ ist ein Überbegrif für alle Menschen, die sich nicht oder nur teilweise mit dem Geschlecht identifzieren, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde. Dazu gehören z.B. Personen, die sich als transgender, transgeschlechtlich, transsexuell oder transident verorten. Auch viele nicht-binäre Personen können sich mit dem Begriff „trans*“ identifzieren. gehen dabei sogenannte Mikrolabel. Kleine Label, die noch einmal präziser, noch einmal aufgedröselter sind, als die vier Hauptlabel.
Es sind überwiegend trans*„Trans*“ ist ein Überbegrif für alle Menschen, die sich nicht oder nur teilweise mit dem Geschlecht identifzieren, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde. Dazu gehören z.B. Personen, die sich als transgender, transgeschlechtlich, transsexuell oder transident verorten. Auch viele nicht-binäre Personen können sich mit dem Begriff „trans*“ identifzieren. und nicht-binäre Menschen, die neue und weniger traditionelle Label vorziehen. Oft müssen sie es sogar, da die großen Label ihre Erfahrungen mit GeschlechtsidentitätDie geschlechtliche Identität beschreibt das Geschlecht, zu dem eine Person tiefe Zugehörigkeit empfindet. Dieses kann von dem bei/nach der Geburt eingetragenen Geschlecht abweichen oder auch mit ihm übereinstimmen. einfach nicht mit einbeziehen1. Wenn ich mich bloß als trans„Trans*“ ist ein Überbegrif für alle Menschen, die sich nicht oder nur teilweise mit dem Geschlecht identifzieren, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde. Dazu gehören z.B. Personen, die sich als transgender, transgeschlechtlich, transsexuell oder transident verorten. Auch viele nicht-binäre Personen können sich mit dem Begriff „trans*“ identifzieren. bezeichne, geht vielleicht die Nuance meiner Identität verloren, dass ich kein trans„Trans*“ ist ein Überbegrif für alle Menschen, die sich nicht oder nur teilweise mit dem Geschlecht identifzieren, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde. Dazu gehören z.B. Personen, die sich als transgender, transgeschlechtlich, transsexuell oder transident verorten. Auch viele nicht-binäre Personen können sich mit dem Begriff „trans*“ identifzieren. Mann, sondern transmaskulin nicht-binär„Nicht-binär“ ist ein Überbegriff, der Menschen beschreibt, die sich jenseits, außerhalb oder zwischen den angenommenen binären Geschlechtern (weiblich und männlich) verorten. Manche nicht-binäre Personen verstehen sich auch als trans*, andere wiederum als ausschließlich nicht-binär. bin. Wenn mir dieser Unterschied wichtig ist, dann möchte ich ihn ausdrücken. Hier kommen Mikrolabel ins Spiel.
Je mehr unterschiedliche Identitäten eine Person erlebt, desto eher greift diese wahrscheinlich auf Mikrolabel zurück. Vor allem, wenn es um die Unterscheidung Geschlecht, Sexualität und Anziehung geht, können Mikrolabel helfen. Stehe ich wirklich nur auf eine Art von Menschen? Und will ich mit Personen Händchen halten oder mehr? Reichen mir die Überbegriffe aus? Wieso sollte ich nur einen Teil meiner Identität beschreiben, einen anderen aber weglassen?
So werden immer wieder neue Mikrolabel erfunden, aber auch bekannte Label revolutioniert und überholt; aus LesbischSchwulBisexuellTrans wird LesbischSchwulBisexuellTransInterAsexuellQueer+mehr. Denn dass die Erfahrungen einzelner Personen eben nicht immer komplett mit denen anderer Einzelpersonen übereinstimmen, wird in unserer vernetzten Welt immer mehr Menschen klar. Deine Erfahrung ist nicht meine Erfahrung. Und das anhand von (Mirko-)Labeln ausdrücken zu können, ist hilfreich. Wenn nun aber jede queere Person anders als jede andere queere Person ist, wie formulieren wir trotzdem eine Wir-Erfahrung?
„Label sind bloß Worte“
Eine Antwort darauf ist, an unterschiedlichen Stellen verschiedene und unterschiedlich viele Label zu verwenden, je nachdem, was der Kontext fordert. Will ich besonders ins Detail gehen, weil mein Gegenüber Mikrolabel verwendet oder rede ich mit meinem Opa und will nur, dass er versteht, mit wem ich auf einem Date war? Dieses Konzept der unterschiedlichen Darstellung der eigenen Identität nennt sich „situative Fluidität“.
Vor allem Jugendliche, und Menschen mit Geschlechtsidentitäten außerhalb des binären Systems, beschreiben sich mit Labeln, die sich situativ fluide verhalten.2 Manchmal möchte ich, dass mein Gegenüber wirklich jede Abstufung meiner Identität kennt, weil wir uns vielleicht gerade über queere Themen unterhalten. Und manchmal braucht es den größten gemeinsamen Nenner und Mirkolabel sind in dem Moment nicht gefragt.
Im Allgemeinen neigen LSBTQIA+ Personen vor allem innerhalb der eigenen Community eher dazu, Mikrolabel zu verwenden und mit Menschen außerhalb des geschützten Raumes auf bekanntere und allgemeinere Label zurückgreifen. Dies vermeidet sich gegenüber Unwissenden langatmig erklären zu müssen aber etabliert gleichzeitig ein Wir-Gefühl und Vertrauen mit denen, die die volle Ladung Label abbekommen. Für dich bin ich nicht bloß queer, sondern dir nenne ich die Abstufungen meiner Identität, und vielleicht können wir uns so gegenseitig besser verstehen.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede Person sich auf Label – mikro oder nicht – festlegen muss. Und außerdem kommt es immer zu persönlichem Wachstum, sodass sich Selbstbeschreibungen verändern können. Ist es dann nicht viel einfacher, sich einfach bloß als queer zu bezeichnen, oder als gar nichts? Sollten wir aufhören uns künstlich oder für andere einzuschränken oder damit beginnen, uns über Label hinaus zu definieren? Sind (Mikro)label nun etwas Gutes oder etwas Schlechtes?
„Label sind Orte für die Ortlosen“3
Eine klare Antwort gibt es nicht. Das mag vielleicht enttäuschend klingen, aber letztendlich ist jede Person ein einzelner Mensch mit eigenen Bedürfnissen und Vorlieben. Ist jemandem Zugehörigkeit wichtig, so wird die Person in Labeln diese finden. Ist jemand dafür, Label generell abzuschaffen, wird die Person sich auch nicht mit solchen beschreiben. Und für die von uns, für die ein Wort nicht ausreicht, sind Mikrolabel eine wundervolle Art, uns selbst besser für andere und vor allem für uns selbst beschreiben zu können. Das ist alles valide, verständlich und okay.
In einer Umfrage aus 2019 gab es fast einen 50/50 Split bei Gen Z Befragten zwischen der Einstellung „es gibt noch nicht genug Label“ und „es gibt zu viele verwirrende Label“.4
Kein Weg ist dabei besser als der andere. Es kann sich natürlich eine Welt gewünscht werden, in der wir keine Mikrolabel bräuchten, um unsere Erfahrung zu nuancieren, in der ein Einfaches „ich bin so, wie ich nun Mal bin“ ausreicht. Und vielleicht tut es das, für einige Menschen, in bestimmten Situationen. Für andere ist es ein revolutionärer Akt, sich zu entscheiden, sichtbar zu sein. Gerade für die von uns, die unsichtbar gemacht werden in der Welt, können Selbstbeschreibungen heilend und Community-schaffend sein.
Label sind nicht grundsätzlich kompliziert oder hilfreich, Mikrolabel sind nicht generell zu viele oder zu wenige. Was zählt ist, wem ich anvertrauen kann, wie ich mich weshalb identifiziere. Ob ich dafür ein, zwei oder sieben Worte verwende, ist meine persönliche Entscheidung.
Mikah Rose
1Galupo, M. Paz, Renae C. Mitchell, and Kyle S. Davis. 2015. „Sexual Minority Self-Identification: Multiple Identities and Complexity.” Psychology of Sexual Orientation and Gender Diversity 2(4):355–64.
2Holmes, Andy, und Ghaziani, Amin. „Situational Fluidity and the Use of Identity Labels in Interactions“. American Sociological Association 11(1-18): 12-13.
3Keilty, P. (2009). „Tabulating queer: Space, perversion, and belonging“. Knowledge Organization 36, 241.
4https://www.refinery29.com/en-gb/2022/07/11025949/sexuality-labels-lgbtq