Wenn die Transition ein Kreis ist

Hallo, schön dass du meinen Bericht lesen möchtest. Ich heiße A., bin jetzt 32 Jahre alt und benutze „sie“ und „er“ als Pronomen. Ich mag vorab erwähnen, dass der Erfahrungsbericht stark vereinfacht wurde und viele Nuancen ausgelassen hat. Viele komplizierte Dinge sind gleichzeitig passiert und haben sich gegenseitig beeinflusst, aber das würde den Rahmen hier sprengen. Meine Geschichte ist nicht ganz einfach oder klassisch, aber ich hoffe, sie hilft dir trotzdem.

CN: Sprechen von Gewalterfahrungen in Familie und Schule / Benennung von Traumatisierung und Depression

Bei meiner Geburt wurde mir das weibliche Geschlecht zugeschrieben. Ich wurde entsprechend, wenn auch eher offen, als Mädchen sozialisiert. Ich war ein untypisches, neurodivergentes Mädchen, was dazu führte, dass ich seit der Grundschule von Mitschüler*innen gequält und isoliert wurde. Mein Zuhause war eine Kombination aus Chaos und Kontrolle, durchzogen von Gewalt und Vernachlässigung. Wegen alledem bin ich komplex traumatisiert, chronisch depressiv und habe Psychiatrien von innen gesehen.

Als ich mit 18 nochmal einen Pubertätsschub hatte, wurden mir meine Brüste erst so richtig bewusst. Schon bald entwickelte ich den Wunsch z.B. an Krebs zu erkranken und sie mir entfernen lassen zu können, denn sie fühlten sich nicht an, als wären sie ein Teil von mir. Mit 21 erfuhr ich von Nonbinarität, und damit ergriff ich sofort die Chance, mich vom Frausein und den damit verbundenen Erfahrungen und Erwartungen abzutrennen. Ich war immer anders, immer die Komische, und das war für mich immer schmerzhaft gewesen.

Anfangs versuchte ich als sichtbar nicht-binär meine Brust entfernen zu lassen. April 2016, im Alter von 24 Jahren, begann ich eine Psychotherapie, um eine OP-Indikation zu bekommen. Ich fand schnell heraus, dass ich als traumatisierte, nicht-binäre Person bei der Therapeutin keine Chance hatte und versuchte stattdessen als trans Mann zu leben. Es war damals noch Voraussetzung für eine Mastektomie vorher mindestens 6 Monate lang Testosteron zu nehmen, und weil die Aussichtslosigkeit den Leidensdruck ins Unendliche getrieben hatte, begann ich im Dezember 2017, mit 26 Jahren, meine Hormonersatztherapie. Am meisten freute mich der Stimmbruch, aber es war nie mein Plan gewesen länger als nötig Testosteron zu nehmen. Insgesamt fühlte ich mich nicht gut damit und ich wurde mir selbst zunehmend fremder, wusste aber keine Alternative. Im Oktober 2018, mit 27, folgte die Entfernung der Brust und, weil ich Angst hatte später nicht mehr die Möglichkeit dazu zu haben, der Gebärmutter. Die Eierstöcke behielt ich.

Wegen der erzwungenen Begleittherapie, dem Stress und der Entfernung von mir selbst war ich so destabilisiert, dass es von da an nur noch bergab ging. Nach drei Monaten brach ich zusammen und begann meine Detransition. Das war Anfang 2019, noch immer 27 Jahre alt. Weil ich so weit von mir weg war bereute ich zunächst alles.

Es dauerte über zwei Jahre, bis ich an dem Punkt angelangt war, wo sich meine Mastektomie logisch und stimmig anfühlt. Das ging nicht ganz ohne Psychotherapie und viel Unterstützung aus der nicht-binären Community. Bis heute bereue ich meine Hysterektomie, aber das hat vielmehr damit zu tun, dass ich nicht über Risiken und Spätfolgen aufgeklärt wurde und weniger mit meiner Detransition.

Heute kann ich sagen, dass die Transition für sich stehend gut und richtig war. Die Umstände haben aber dazu geführt, dass der Prozess für mich unangenehm und fremdbestimmt gewesen ist. Seit fast 6 Jahren lebe und identifiziere ich mich als Frau, und dabei haben die Mastektomie und das Testosteron sehr geholfen. Diese beiden Dinge haben die Dysphorie gelichtet, die vorher alle meine Gedanken und Gefühle überschattet hat. Dadurch ist Frau-Sein zum ersten Mal etwas, dass sich authentisch für mich anfühlt. Ob ich cis oder trans bin ist keine Frage mehr, auf die ich eine Antwort suche. Mit meiner Vornamensänderung 2020 sind meine beiden Transitionen endlich in sich abgeschlossen.