Transitionswege

Ich bin Mine. Ich bin selbst trans, nicht-binär, weiß und abled. In meiner Arbeit als Antidiskriminierungstrainerin, die sich mit trans* und nicht-binären Themen beschäftigt, werde ich immer wieder gefragt, wie eine Transition aussieht. Was gehört dazu? Gibt es einen Endpunkt einer Transition, ein Ziel? Ich beantworte diese Frage in der Regel gern damit, zu erklären, was eine Transition nicht ist – eine Einbahnstraße, mit vorgeschriebenem Tempo und klar abgesteckten Richtungsvorgaben.

Was eine Transition nicht ist

Bis heute ist der Gedanke weit verbreitet, dass eine Transition vor allem eine medizinische Behandlung sei. In dieser Vorstellung ist das Ziel, das körperliche Erscheinungsbild an das ‘empfundene Geschlecht’ anzupassen. Vielleicht sind dir schon mal Menschen begegnet, die gesagt haben, um ‘richtig’ trans* zu sein, musst du unter Dysphorie leiden. Dazu gehört oft die Behauptung, eine Transition sei die Heilung von diesem Leidensdruck. Dysphorie bezeichnet das Unwohlsein aufgrund der oft am Körper festgemachten gesellschaftlichen Zuschreibung von Geschlecht, die nicht mit der eigenen geschlechtlichen Wahrnehmung übereinstimmt.

Das geht zurück auf die lange Geschichte der Pathologisierung von transGeschlechtlichkeit – also der Idee, trans oder nicht-binär zu sein sei eine Krankheit. Daraus ergibt sich die die Annahme, dass transSein immer mit innerem Leiden, Unwohlsein und Unbehagen einhergeht. Leider wirkt sich das manchmal auch auf die Selbstwahrnehmung von trans und nicht-binären Personen aus: Immer wieder kommt es zu Diskussionen darüber, wie ‘richtiges’ transSein auszusehen hat, in denen nicht-binäre Lebenswirklichkeiten auch von anderen transMenschen abgewertet werden. Das reproduziert Diskriminierung und benachteiligt Menschen, deren Körperbilder und Lebenswirklichkeiten von binären und heterosexuell orientierten Vorstellungen abweichen.

In Wahrheit ist eine Transition nämlich keine medizinische Notwendigkeit zur Heilung von Leiden. Das belegen zahlreiche nicht-binäre und trans*Biographien, in denen keine medizinische Transition stattfindet oder deren Transitionen anders aussehen, als das ‘volle Paket’ zur körperlichen Angleichung an die cis Norm.  

Was eine Transition sein kann

Transitionen sehen schon immer unterschiedlich aus, nicht nur wegen unterschiedlicher Zugänge zu medizinischer Versorgung, sondern auch wegen verschiedener Bedürfnisse der transitionierenden Personen. Das muss nicht immer an medizinische Maßnahmen geknüpft sein. Es gibt eine große Bandbreite nicht-medizinischer Hilfsmittel, auf die Menschen im Rahmen ihrer Transition zurückgreifen. Die Suche nach einem passendem Namen oder einem Pronomen, das sich richtig für dich anfühlt, können zum Beispiel wichtige (oder vielleicht auch die einzigen) Schritte auf deinem Transitionsweg sein.

Viele Personen wünschen sich aber auch eine äußerliche Veränderung. Hier hilft zum Beispiel das Tragen von Bindern, die einen flachen Torso machen, um weniger feminin zu wirken. Gaffs und Tucking wiederum können nützlich sein, um bestimmte, eng anliegende Kleidung zu tragen, in der sich Personen femininer fühlen. Dazu kommen sogenannte Epithesen, also zum Beispiel Packer, die eins in der Unterhose tragen kann und selbstklebende Brustepithesen aus medizinischem Silikon, die sich beim Tragen möglichst natürlich anfühlen. Da es schwierig sein kann, an Packer und Brustepithesen zu kommen, können in der Hose platzierte Sockenknäuel und trägerlose, selbstklebende BH Pads aus Silikon preisgünstige Alternativen sein.

Darüber hinaus können Kleidung und Make Up kreative Mittel sein, um das eigene Äußere zu verändern und auch mit gender-nonkonformen Ausdrucksweisen zu spielen. Diese Hilfsmittel können eine Chance sein, Veränderungen auszuprobieren, um für dich herauszufinden, wie sich zum Beispiel eine andere äußere Erscheinung anfühlt. Neben dem Aussehen spielt auch die Stimme eine Rolle dabei, wie wir von anderen wahrgenommen werden. Bei geschulten Stimmtherapeut*innen kannst du dir Beratung und Begleitung dabei suchen, wie du einen Umgang mit deiner Stimme findest, der für dich gut funktioniert.

Aber auch bei körperverändernden Methoden gibt es verschiedenste Möglichkeiten. So kann zum Beispiel die hormonelle Behandlung viele Varianten umfassen.  Manche transmaskuline Personen nehmen beispielweise eine geringe Dosierung von Testosteron, um einen milderen Effekt zu erreichen. Andere beginnen mit Testogel und entscheiden sich aus pragmatischen Gründen später für Spritzen, die einmal alle drei Monate gesetzt werden, statt täglich aufgetragen werden zu müssen wie das Gel.

Für transweibliche Personen stellt sich oft die Frage nach der Estradiolbehandlung mit Gel oder Pflastern, oder in Tablettenform, die entweder geschluckt oder unter die Zunge gelegt werden können, bis sie sich auflösen. Zusätzlich entscheiden sich manche für einen Testosteronblocker, wie Spironolacton oder Finasterid und andere dagegen. Die eigene Medikation kann sich verändern. Manche Personen empfinden es zum Beispiel nach einer Neovagina Operation als angenehm, den verringerten, körpereigenen Testosteronhaushalt mit einer geringen Dosis Testo-Gel wieder anzuheben.

Manchmal setzen Personen ein Medikament ab, weil sie dessen Einfluss vielleicht nur bis zu einem bestimmten Punkt der körperlichen Veränderung wünschen – oder sie pausieren ein Medikament, weil sie einen Kinderwunsch haben. Ähnlich verhält es sich mit operativen Eingriffen die sich für viele trans* und nicht-binären Personen abseits von “DER Operation” bewegen.

Von Brustvergrößerungen über Brustverkleinerungen oder – Entfernung, über Genitalmodifikationen wie Phalloplastik und Neovagina oder einer operativen Entfernung der Hoden (die sogenannte Orchiektomie) oder einer Metaidoioplastik (der sogenannte Klitpen) – es gibt viele Möglichkeiten, die sich an eigene Bedürfnisse anpassen und kombinieren lassen. Die möglichen Optionen sind viele und können erstmal überwältigend wirken. Keine dieser hier beschriebenen Varianten ist ein Muss. Deshalb ist es wichtig, dass du dir Zeit für die Auseinandersetzung damit lässt und dich nicht unter Druck setzt. Wenn du dir die Frage nach diesen Maßnahmen stellst, nimm dir den Raum, den du für eine gute Überlegung brauchst und suche dir Unterstützung dabei.

Eine Frage der Umstände

Ob du dich für oder gegen (einzelne) medizinische Maßnahmen entscheidest, ist immer auch abhängig von deinen Lebensumständen. Das kann bedeuten, dass du (zeitweise) dein eigenes Äußeres veränderst, um unangenehmen Zwangsoutings und Diskriminierung zu entgehen. Vielleicht ist es dir auch wichtig, deinem eigenen trans* oder nicht-binär sein einen sichtbaren Ausdruck zu verleihen, um auch äußerlich als queer gelesen zu werden.

Der Wunsch nach einer bestimmten Medikation kann abhängen von deinem körperlichen Wohlbefinden oder Bedürfnissen an die Gestaltung der eigenen Sexualität. Diese Bedürfnisse können sich verändern und folglich kann sich auch deine Medikation verändern. All das sind Beispiele für eine Transition als Selbstermächtigung, um den eigenen Alltag stimmiger, im besseren Einklang mit dir selbst und mit mehr Wohlbefinden bestreiten zu können.

Das Wichtigste bei der Navigation der verschiedenen medizinischen Optionen ist, dass du dich im Vorfeld ausführlich informierst, um deine Entscheidungen gut überlegen und abwägen zu können. Online-Angebote wie dieser Text ersetzen keine fachliche Beratung. Diese kannst du dir zum Beispiel bei queeren Zentren suchen, wo Berater*innen dich Informieren und du dich mit Menschen austauschen kannst, die ähnliche Erfahrungen machen wie du.

Ein lebendiger Austausch, über die vielen unterschiedlichen Erfahrungen, die transitionierende Personen machen ist wichtig. Hier greifen trans* und nicht-binäre Communities auf eine Tradition der gegenseitigen Hilfe zurück. In verschiedenen Kontexten haben sich trans* und nicht-binäre Personen selbst organisiert, Wissen geteilt und Erfahrungen weitergegeben, um sich gegenseitig zu unterstützen. Manchmal entstehen so ganze Netzwerke, die wichtiges Wissen zusammentragen. Zum Beispiel welche Wirkungen Hormone haben, über die cis geschlechtlichen Medizinerinnen vielleicht nur bedingt informieren oder zu Geheimtipps für die Wiederentdeckung der eigenen Sexualität nach, vor oder ohne genitalverändernde Operationen.

Insbesondere mit der Möglichkeit digitaler Vernetzung, die uns heute ganz selbstverständlich erscheint, sind trans und nicht-binäre Communities noch enger zusammengerückt, um Wissen und Erfahrungen aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zusammenzutragen. Auch, wenn das nächste queere Zentrum zu weit entfernt ist, um regelmäßig zur Jugendgruppe zu gehen, hat es vielleicht einen Discord Server.

Auch, wenn du keine transBeratung in deiner Nähe hast, hilft dir vielleicht eine online Beratung oder du findest auf Queermed und Gynformation Informationen zu guten Ärztinnen. Und vielleicht lernst du online erst Menschen kennen, mit denen du dich für ein Treffen im queeren Zentrum verabreden kannst, für das du sonst zu schüchtern wärst. In online Räumen können wir selbst verfasste Zines und andere wichtige Quellen weitergeben und uns auch über geographische Grenzen hinweg austauschen. So können wir einander unterstützen, auch wenn das medizinische System und Gatekeeping frustrierend sein können. Und wir können uns über verschiedene Transitionswege auch abseits des Medizinischen austauschen.

Die richtige Entscheidung? Die falsche Entscheidung? Deine Entscheidung!

Die Entscheidung, eine Transition zu beginnen, kann verunsichern. Zweifel und manchmal auch Ängste sind dabei völlig normal. Der Prozess wird jedoch oft erschwert durch Erwartungen von anderen – den Eltern, Ärztinnen, der Gesellschaft -, die manchmal ihre Vorstellungen von transSein über unsere Bedürfnisse stellen. Das hat nicht immer mit bösem Willen zu tun, sondern oft auch mit Sorge darüber, ob eine Transition die richtige Entscheidung ist.

Ich habe selbst als Gesundheitsberaterin für trans, inter* und nicht-binäre Personen gearbeitet und wurde öfter danach gefragt, welche Entscheidung “die richtige oder falsche” ist. Als Feminist*in fällt mir die Antwort leicht. Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern um gut informierte und selbstbestimmte Entscheidungen für die Gestaltung des eigenen Lebensweges. Und das bedeutet manchmal die Veränderung des eigenen Äußeren oder des eigenen Körpers.

Eine selbstbestimmte Entscheidung gelingt nur ohne Zwang, also weder Zwang zum ‘richtigen Transitionsweg’, noch indem Personen von Entscheidungen fremdbestimmt abgehalten werden. Die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit umfasst auch das Recht, manche Entscheidungen bereuen zu können, das Recht auf Zweifel und das Recht manchmal Fehler zu machen. Die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen wird auf jeden Fall verringert, wenn du dir gute, individuelle Beratung suchst und dich nicht von den Erwartungen anderer an dich abhängig machst.

Eine Transition ist keine Einbahnstraße, sondern eine aufregende Reise, die dir als trans* oder nicht-binäre Person helfen kann, dich selbst besser kennen zu lernen. Viele Stationen auf deinem Weg sind wertvolle Geschenke, aber manches wird sicher auch anstrengend und frustrierend. Das Wichtigste ist, dass du dabei ehrlich mit dir bleibst und dich nicht zermürben lässt. Dabei hilft es, Rat und Beistand bei der Community und in deinem Umfeld zu suchen.

Du bist nicht die erste Person, die sich diesen Herausforderungen stellt und kannst auf Erfahrungen und Unterstützung von Vorgänger*innen aufbauen. Und wer weiß, vielleicht lernst du selbst etwas auf deinem Weg, das du später einmal an Personen weitergeben möchtest, die vor ähnlichen Fragen stehen?